Das Seelenleben der Tiere by Wohlleben Peter

Das Seelenleben der Tiere by Wohlleben Peter

Autor:Wohlleben, Peter [Wohlleben, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Ludwig
veröffentlicht: 2016-04-22T10:21:33+00:00


Erziehung

Auch Tierkinder brauchen eine Erziehung, um die Spielregeln des Erwachsenendaseins zu beherrschen. Wie sehr das nötig ist, durften wir erfahren, als wir unsere kleine Ziegenherde kauften. Der Milchbetrieb im Nachbardorf gibt grundsätzlich nur Lämmer ab, schließlich braucht er die Milch der Muttertiere, um Käse herzustellen. Für den Nachwuchs lauten daher die Alternativen, entweder als Fleisch in der Auslage zu enden oder aber an Hobbyhalter verkauft zu werden. Unsere damals vierköpfige Startbesatzung hatte Glück und kam als kleine Gruppe auf unsere Weide. Kaum waren sie in den umzäunten Bereich gesetzt worden, da sprang auch schon die erste kleine Ziege voller Panik hinüber und verschwand in dem ungefähr achthundert Meter entfernten Wald. Wir wähnten sie schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden – woher sollte sie schließlich wissen, wo ihr neues Zuhause war? Normalerweise wäre ihre Mutter an ihrer Seite gewesen, hätte beruhigend gemeckert und das Kleine in Sicherheit gewiegt. So aber gab dem Kleinen niemand Halt. Niemand? Was war mit den anderen drei Lämmern? Sie bildeten zwar eine Herde, konnten aber offenbar nicht annähernd ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln.

Und der Ärger ging weiter. So kam Bärli (der braune Ausreißer) zwar wieder zurück, aber dafür hielt sich der Rest der Rasselbande immer wieder außerhalb der Umzäunung auf und brachte uns ins Schwitzen, wenn die Tiere zurückgetrieben werden mussten. Unsere einzige Hoffnung war, dass sich das Verhalten nach den ersten Geburten bessern würde. Und tatsächlich: Sobald die Ziegen ihre ersten Lämmer bekamen, wurden sie ruhiger und blieben brav auf dem ihnen zugewiesenen Weidestück. Ihre Töchter und Söhne wurden gar nicht erst zu Störenfrieden, weil sie von ihren Müttern lernten, wie man als brave Ziege auf einer Weide lebt. Wer sich zu sehr danebenbenahm, wurde erst mit einem Meckern zur Ordnung gerufen und, wenn das nicht half, auch einmal herzhaft mit den Hörnern geknufft. Von dieser zweiten Generation ist noch niemand über den Zaun gesprungen, und der »Oberausreißer« Bärli ist unsere bravste und liebste Ziege geworden, majestätisch und ruhig. Natürlich spielt auch das Älterwerden eine Rolle: Bärli ist schwerer und damit ein wenig behäbiger, aber sie ruht auch in sich. Selbstbewusstsein haben ihr bestimmt auch ihre Lämmer gegeben, und mittlerweile ist sie zur Chefin aufgestiegen, was sicherlich zusätzlich Ruhe in ihr Leben bringt.

Das klingt alles ganz normal und selbstverständlich? Finde ich auch. Unterstellt man jedoch, dass Tiere instinktiv und nach einem genetisch fixierten Programm funktionieren, dann sieht das Ganze etwas anders aus. Lernen wäre überflüssig, weil für jede Situation das passende Verhalten aktiviert würde. Genau das ist jedoch nicht der Fall, wie Millionen von Haustierhaltern bestätigen können. Unsere Hunde durften beispielsweise nicht in die Küche, und das haben sie schnell durch ein »Nein!« in einem ganz bestimmten Tonfall gelernt und hielten sich anschließend zeitlebens an diese Regel (die so in der Natur wohl kaum einen Sinn macht).

Doch schauen wir noch einmal hinaus in den Wald und in die Schule der Wildtiere und fangen dabei bei den Kleinsten an: den Insekten. Wenn man nicht gerade in einem Bienenvolk oder seiner Verwandtschaft, den Ameisen oder Wespen, aufwächst, dann ist man als Jungspund auf sich allein gestellt.



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